IUF logo; clicking here returns you to the home page.
IUL
Vereinigt Lebensmittel-, Landwirtschafts- und HotelarbeitnehmerInnen weltweit


Sexuelle Belästigung in Polen: PepsiCo lehnt nach wie vor jede Verantwortung ab

An die IUL Web-Site geschickt am 02-Aug-2005

Diesen Artikel an eine/n Bekannte/n weiterleiten.

Von der schwedischen Gewerkschaft der Lebensmittelarbeitnehmer

Malin Klingzell-Brulin ist Redakteurin von Mål & Medel, der Zeitschrift der schwedischen Lebensmittelarbeitnehmergewerkschaft (Livs). Am 22. und 23. Juni besuchte sie Polen als Mitglied einer Delegation, die die IUL und Solidarnosc entsandt hatten, um die Situation der acht Arbeitnehmerinnen des Frito-Lay Betriebs von PepsiCo in der Nähe von Warschau zu untersuchen, die infolge sexueller Belästigungen durch eine Aufsichtskraft entlassen oder zur Kündigung gezwungen worden waren. Ihr Bericht über diesen Besuch erschien ursprünglich in Nr. 7-8 von Mål & Medel für die Monate Juli/August 2005.

Immer wieder verschwand ihre Kollegin im Büro des Vorgesetzten. Die anderen Frauen machten sich ihre Gedanken. Als sie plötzlich in der Woche vor Weihnachten entlassen wurde, begannen sie darüber zu sprechen, was seit einiger Zeit vorgefallen war, aber niemand beim Namen zu nennen gewagt hatte - sexuelle Belästigung.

Sexuelle Belästigung ist ein heikles Thema. Aber nun haben sie zum ersten Mal damit begonnen, in einer größeren Gruppe hierüber zu sprechen, und dabei stellt sich heraus, dass fast jede von ihnen, entweder direkt oder als Zeugin der Belästigung anderer, betroffen gewesen ist.

Dies ist ein schwieriger Moment. Aber es ist auch eine unglaubliche Hilfe, gewisse Dinge öffentlich zu machen. Die Erkenntnis, nicht allein zu sein, macht die Last leichter.

Viele erinnern sich noch an die Kollegin, die erst schwanger und dann entlassen wurde. Das geschah vor drei Jahren. Es hieß, ein Vorgesetzter sei der Vater des Kindes. Als dies bekannt wurde, beging ihr Mann Selbstmord, er erhängte sich. Dem betreffenden Vorgesetzten wurde nahegelegt zu kündigen - das war die einzige Folge des Geschehens. Niemand kann allerdings mit Sicherheit sagen, dass diese Geschichte wahr ist, denn sie wurde nie richtig untersucht.

Die Frauen arbeiten im Snack Food Betrieb Frito-Lay von PepsiCo in der Nähe von Warschau, und diese Diskussion findet in einer Pause statt. Was sie nicht wissen, ist, dass jemand zuhört und alles der Betriebsleitung berichtet. Möglicherweise sieht diese Person hier eine Beförderungsmöglichkeit für sich. Oder aber sie ist einfach rachsüchtig.

Der Tag, den sie nie vergessen werden

Weihnachten naht. Es gibt viel zu tun, Mahlzeiten vorzubereiten, einen Baum zu schmücken, Geschenke zu kaufen. Nach dem Fest werden sie in die Verpackungsabteilung des Betriebs zurückkehren. Arbeit wie immer. Aber der 29. Dezember 2004 ist der Tag, den sie nie vergessen werden.

Elzbieta macht ihre Pause. Sie hat sich soeben eine Zigarette angezündet, als sich ihr Vorgesetzter nähert und sie anweist, die Zigarette auszumachen und ihm zu folgen. Sein ernster Ton macht ihr Angst. Doch sie tut, wie ihr geheißen, und folgt ihm schweigend. Er führt sie in das Büro, wo schon der Personalchef wartet. Er erklärt ihr, dass man sie nicht mehr im Betrieb haben will. Die Gründe hierfür bleiben unklar.

Sie versteht überhaupt nichts, ist völlig schockiert. Auf dem Tisch vor ihr liegen zwei Dokumente, von denen sie eins unterzeichnen soll. Im ersten heißt es, dass sie bei Zahlung einer gewissen Abfindung auf eigenen Wunsch kündigt. Das zweite ist ein Entlassungsschreiben wegen Nachlässigkeit bei der Arbeit.

Ihr ist flau im Magen. Was sagen die da? Entlassen? Warum? Sie kann nicht mehr klar denken. Ihr Mann ist arbeitslos. Sie muss vier Kinder ernähren. Wie sollen die überleben? Sie unterzeichnet das Papier, das ihr eine gewisse Abfindung sichert - drei Monatsgehälter. Sie steht unter dem Eindruck, dass sie keine andere Wahl hat.

Nach Elzbieta werden die anderen Frauen, die über die sexuelle Belästigung gesprochen haben, eine nach der anderen gerufen. Inzwischen ist das Geschehene bekannt geworden. Jetzt wissen sie alle, was sie zu erwarten haben.

Grazyna ist die Dritte, die der Vorgesetzte kommen lässt. Ihre Situation ist besonders unangenehm, denn es handelt sich dabei genau um den Vorgesetzten, der sie belästigt hat.

Auszeichnung für gute Arbeit

Die letzte Frau, die in das Büro gerufen wird, ist Alexandra. Ihre Kolleginnen trauen ihren Augen nicht. Sie haben sie eben noch getröstet und ihr gesagt, dass sie nichts zu befürchten habe. Erst vor wenigen Wochen hatte sie eine Auszeichnung für ihre gute Arbeit erhalten.

Ebenso wie sechs andere der acht Frauen entscheidet sich Alexandra für die Kündigung. Die Frauen können es sich nicht leisten, auf die Abfindung zu verzichten. Eine nach der anderen kommen sie aus dem Personalbüro. Jede erhält einen schwarzen Plastikbeutel für ihre persönliche Habe. Dann werden sie angewiesen, den Betrieb unverzüglich zu verlassen.

Nie zuvor in der Geschichte des Betriebs sind so viele Leute an einem Tag entlassen worden. Und es ist sicher kein Zufall, dass dies alles geschah, als ihr Gewerkschaftsvertreter gerade seinen freien Tag hatte und deshalb nicht anwesend war, um ihnen zu helfen.

Die entlassenen Frauen warten aufeinander vor dem Betriebstor. Sie sind überzeugt, dass der Grund für ihre Entlassung ihr Gespräch über das Thema sexuelle Belästigung war. Am folgenden Tag treffen sie im lokalen Büro der Solidarnosc mit ihrem Gewerkschaftsvorsitzenden zusammen, der ihnen rät, ihre Darstellungen des Geschehenen schriftlich zu formulieren. Ohne schriftliche Unterlagen ist es unmöglich, einen Fall zu verfolgen.

Am 3. Januar reichen sie beim Arbeitsgericht einen Bericht über sexuelle Belästigungen ein. Wenige Tage später kommt es zu einem Treffen zwischen Vertretern der Solidarnosc und dem Arbeitgeber der Frauen. Die Gewerkschaftsvertreter hoffen, das Unternehmen auf dem Verhandlungswege dazu zu bewegen, seiner Verantwortung gerecht zu werden, die Vorwürfe zu untersuchen und die Frauen wieder einzustellen. Doch die Betriebsleitung lehnt dies rundweg ab.

Medienschlagzeilen

Die Frauen halten ihre Vorwürfe aufrecht. Drei von ihnen erklären, sie seien Opfer sexueller Belästigungen geworden. Fünf andere bestätigen diese Behauptungen. Die Presse und das Fernsehen in Polen erhalten Kenntnis von dem Fall und berichten ausführlich darüber.

Zwei Rechtsverfahren werden eingeleitet: Ein Gericht wird die Fälle unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten behandeln und das andere aus strafrechtlicher Sicht. Die Folge ist die Inhaftierung des Vorgesetzten, der jedoch weiter sein Gehalt von dem Unternehmen erhält, das ihm auch einen teuren Rechtsbeistand zur Verfügung stellt. Die Frauen erhalten weder ihre Arbeitsplätze zurück noch eine Entschädigung für ihre Einkommensverluste.

Ende Januar empfiehlt die IUL ihren Mitgliedsverbänden, gegen diese Vorkommnisse zu protestieren und die unverzügliche Wiedereinstellung aller Arbeitnehmerinnen zu fordern, die wegen ihrer Bemühungen, den sexuellen Belästigungen ein Ende zu machen, entlassen oder zur Kündigung gezwungen worden waren.

Die IUL ist nach wie vor der Ansicht, dass PepsiCo nicht die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz seiner Arbeitnehmerinnen gegen sexuelle Belästigungen getroffen und damit sowohl europäisches und polnisches Recht gebrochen als auch die Menschenrechte seiner Arbeitnehmerinnen verletzt hat.

Verletzung des eigenen Verhaltenskodex

Die IUL weist ferner darauf hin, dass PepsiCo sich in seinem Weltweiten Verhaltenskodex dazu verpflichtet, "ein Arbeitsumfeld ohne Diskriminierung, sexuelle und sonstige Belästigungen zu fördern".

Mål & Medel berichtete erstmals im März (Ausgabe Nr. 3, 2005) über den PepsiCo-Fall. Statt den Vorwürfen nachzugehen, stellte die Betriebsleitung die Behauptung auf, dass der Bericht der Frauen einen Versuch darstelle, das Unternehmen zu erpressen. Solidarnosc hat den Verdacht, dass Detektive beauftragt wurden, die Frauen und ihre Tätigkeiten zu überwachen.

Zur Unterstützung der Frauen formuliert Solidarnosc eine Petition, die bereits von 180 000 Menschen in Polen unterzeichnet worden ist. Mitte Mai findet in Warschau ein Marsch statt. Doch das Unternehmen stellt sich taub. Mit der Zeit wird die Situation der Frauen immer schlimmer. Es gibt Gerüchte, wonach wegen der Aktionen der Frauen die Produktion ins Ausland, und zwar in die Ukraine, verlagert werden soll. Die Arbeitslosigkeit in der Region ist sehr hoch und liegt bei über 20 Prozent. Die Frauen finden höchstens eine Gelegenheitsbeschäftigung.

Nordische Kampagne läuft an

Anfang Juni beschließt die Nordische Gewerkschaft der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Catering-, Tabak- und anverwandten Arbeitnehmerverbände, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darauf aufmerksam zu machen, dass PepsiCo die Menschenrechte seiner Arbeitnehmer völlig missachtet. Die Gewerkschaft beschließt ferner, eine Delegation aus Gewerkschaftsvertretern und Gewerkschaftsjournalisten nach Polen zu entsenden.

Wir treffen als Mitglieder dieser Delegation am 22. Juni im Büro der Solidarnosc in Warschau mit sieben der Frauen zusammen. Anwesend sind ferner Gewerkschaftsvertreter der lokalen, regionalen und zentralen Ebene. Was wir zu hören bekommen, ist erschütternd. Angesichts der sozialen Lage der Frauen ist das Verhalten des Unternehmens völlig rücksichtslos. Wie kann das Unternehmen behaupten, dass die Frauen dies alles zu ihrem eigenen Vorteil tun? Es erscheint völlig unwahrscheinlich, dass ihre Berichte etwas anderes als die Wahrheit wiedergeben. Der Fall wird im Gericht geklärt werden, und dieses wird uns eine schriftliche Antwort liefern.

Auch der Rechtsvertreter der Frauen von der Stiftung für Menschenrechte in Helsinki ist anwesend. Er äußert seine Bedenken in Bezug auf das Ergebnis des Rechtsverfahrens, falls wir Näheres über die sexuellen Belästigungen berichten sollten. Deshalb erwähnen wir hierzu keine Einzelheiten.

Die entlassenen Frauen leben ziemlich isoliert. Nur wenige wissen, was sie durchgemacht haben. Das erkennen wir am folgenden Tag, als wir drei der Frauen bei sich zuhause in der Kleinstadt Zerardów, in etwa 15 km Entfernung von dem PepsiCo Betrieb, besuchen.

Jeder weiß alles über jeden

Man schämt sich, über sexuelle Belästigungen zu sprechen, vor allem in einem kleinen Dorf, wo jeder alles über seine Nachbarn weiß. Im Betrieb nehmen jetzt die meisten der früheren Kolleginnen eine feindselige Haltung gegen die Frauen ein. Hinzu kommt, dass die Frau des inhaftierten Vorgesetzten eine eigene Kampagne eingeleitet hat, um seinen Ruf zu retten. Die Boulevardpresse hat hierüber ausführlich berichtet.

Eine schmale Treppe führt in die Wohnung von Elzbieta in einem der Gemeindehäuser. Sie hat vier Kinder. Sie und ihr Mann sind arbeitslos. Wir sitzen eng gedrängt in dem kleinen Vorderzimmer und hören ihre Geschichte. Sie wirkt ermüdet und besorgt. Es war eine schwere Zeit für sie.

"Wir haben kaum genug Geld für die Lebensmittel. Seit mehreren Monaten können wir die Miete nicht mehr zahlen", erzählt sie uns.

Als sie am 29. Dezember zur Kündigung gezwungen wurde, war sie bereits seit sieben Jahren im Betrieb tätig. Noch einmal erzählt sie, was geschah.

"Es passierte alles so schnell. Ich konnte nur an die Kinder denken und daran, woher wir das Geld zum Überleben bekommen würden".

Es erschien alles so unwirklich, sagt sie. Erst später, als sie Zeit zum Nachdenken hatte, brachte sie das ganze Geschehen mit ihrem Gespräch über sexuelle Belästigungen in Zusammenhang.

Alexandra lebt in einer kleinen Wohnung in einem der oberen Stockwerke eines anderen Gemeindehauses. Sie ist alleinerziehende Mutter mit einem zwölfjährigen Sohn. Stolz erzählt sie uns, dass sie neun Jahre in dem Betrieb gearbeitet und in dieser Zeit nur 11 Tage Krankenurlaub genommen hat, und das nicht etwa, weil sie selber krank war, sondern nur, weil es ihrem Sohn nicht gut ging.

Als Alexandra in das Büro gerufen wurde, wollte sie es auf eine Auseinandersetzung ankommen lassen.

"Einige Wochen zuvor war ich für meine gute Arbeit belohnt worden. Es schien deshalb völlig unbegründet, mich kurz darauf wegen geringer Produktivität zu entlassen", sagt sie.

"Ich versuchte, mit dem Vorgesetzten und dem Manager zu argumentieren. Ich fragte sie, ob sie dies täten, weil ich zu viel über das wüßte, was im Betrieb geschehe, doch sie lachten mich nur aus".

Die letzte Frau, mit der wir zusammentreffen, ist Grazyna. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern auf dem Lande, in einem Haus, das sie geerbt hat. Auf den ersten Blick ist dies im Vergleich zu den Wohnungen der anderen Frauen eine Idylle. Auch ihre finanzielle Situation ist etwas besser. Dafür ist die seelische Belastung bei ihr umso größer. Während nämlich die anderen Frauen, mit denen wir zusammengetroffen sind, nur Zeuginnen der Belästigung waren, hat sie Grazyna selbst erlitten. Es ist nicht leicht, hierüber zu sprechen, aber sie versucht es doch, damit wir das Ganze genauer verstehen können.

Sie ist davon überzeugt, dass sie entlassen wurde, weil sie damit begonnen hatten, über das zu sprechen, was im Betrieb vor sich ging, und weil sie die Forderung des Vorgesetzten nach sexuellen Gefälligkeiten abgelehnt hatte.

Welcher Verhaltenskodex?

Der Verhaltenskodex des Unternehmens ist ihr unbekannt. Während ihrer neunjährigen Tätigkeit in dem Betrieb hat sie ihn nie jemals erwähnen hören. Auch keine der anderen Frauen hat jemals von ihm gehört. Das Unternehmen behauptet, alle Arbeitnehmer seien hierüber informiert worden, doch ist dies offensichtlich nicht der Fall.

"Wovon träumen Sie jetzt?"

"Von einem Arbeitsplatz".

Sie ist sich jedoch nicht sicher, ob eine Rückkehr in den Betrieb möglich sein wird, auch wenn sie das Verfahren gegen das Unternehmen gewinnen sollten. Es wird nicht leicht sein, mit denen zusammenzuarbeiten, die eine feindselige Haltung gegen sie eingenommen haben. Und sie ist ziemlich pessimistisch in Bezug auf den Prozess, der sich über mehrere Jahre hinziehen könnte.

"Ich habe den Eindruck, das Unternehmen führt einen Nervenkrieg, und das kann man kaum bis zum Ende durchstehen, wenn man keine Arbeit und kein Geld hat".

____________________________________

Um eine Botschaft an PepsiCo zu senden, worin das Unternehmen wegen unterlassener Verantwortungsübernahme verurteilt und aufgefordert wird, unverzüglich Verhandlungen mit der Gewerkschaft aufzunehmen, um eine für die Opfer annehmbare Lösung zu finden, hier klicken.