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Private Arbeitsplatzinspektionen sind kein Ersatz für starke Gewerkschaften und gesetzliche Vorschriften

25.09.12 Editorial
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Der Textilfabrik in Karachi, Pakistan, wo am 12. September fast 300 Arbeiter/innen verbrannt sind, wurde erst wenige Wochen vorher die begehrte Zertifizierung mit dem SA8000 ausgestellt, einem von der amerikanischen Nichtregierungsorganisation Social Accountability International (SAI) entwickelten Sozialstandard, der die Einhaltung bestimmter Arbeitsbedingungen und Sicherheitsnormen bestätigt.

Das italienische Unternehmen, das die Prüfung durchführte, hatte bis dahin 540 Zertifizierungen ausgestellt, 100 davon allein in Pakistan.

Die Bosse werden immer versuchen, ihren Belegschaften einzutrichtern, was sie bei den Audits sagen sollen. In der Fabrik in Karachi waren 250 Beschäftigte offiziell gemeldet, tatsächlich gearbeitet haben dort aber bis zu tausend. Am Tag der Inspektion ließen sich alle Türen öffnen, tatsächlich gab es in der Fabrik aber keinen einzigen Notausgang. Und tatsächlich ist in Karachi seit mindestens 9 Jahren in keiner einzigen Fabrik mehr die Elektrik inspiziert worden. Das alles dürfte der Aufmerksamkeit der Prüfer entgangen sein, die 4 Tage in der Fabrik verbrachten und dem Betrieb bestätigten, dass er höchste internationale Standards erfüllte.

Wie in den berüchtigten Foxconn-Fabriken in China, wo die Prüfer keine toxischen Arbeitsplätze, keine Kinderarbeit und keine exzessiven Überstunden entdeckten, war der Betrieb in Karachi schon einmal inspiziert worden. Die Bilanz dieser Audits sind hunderte Menschenleben.

Die SAI hat die Prüfer suspendiert und bemüht sich nun in den Worten ihres Geschäftsführers, "herauszufinden, was da schief gelaufen ist." Was schief gelaufen ist und auch in Zukunft tragisch schief laufen wird, ist die Vermarktung privat finanzierter Zertifizierungen, die die Arbeitsschutzausschüsse der unabhängigen Gewerkschaften und die rigorose Durchsetzung strenger, gesetzlich verabschiedeter Sicherheitsvorschriften ersetzen sollen.

Der Brand in Karachi erinnert unweigerlich an den berüchtigten Brand in der Triangle Shirtwaist Company in New York, wo 1911 146 Textilarbeiter/innen ums Leben kamen. Die Türen in der Triangle-Fabrik waren wie die Türen im Ali-Betrieb in Karachi versperrt. Die Bosse redeten sich auf Diebstähle aus. Die Arbeiter/innen wussten jedoch, dass es nur darum ging, die Aktivisten der Gewerkschaft auszusperren.

Die öffentliche Empörung über den Triangle-Brand zwang die Regierung, strenge Sicherheitsgesetze zu verabschieden. Die schreckliche Tragödie in Karachi beweist – einmal mehr –, dass öffentliche Rechenschaftspflicht, strenge gesetzliche Vorschriften und starke, am Arbeitsplatz präsente Gewerkschaften nicht durch private Bescheinigungen 'sozialer Verantwortung' ersetzt werden dürfen.