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Fastenzeit bei Kraft nach Cadbury-Gelage - um wieviele Arbeitsplätze leichter?

23.02.10 News
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Meldung
Kraft Foods startet um 150 Millionen Pfund leichter in das neue Jahr
NORTHFIELD, IL (27. Januar 2010) - Vor einigen Jahren beschloss Kraft Foods, kräftig abzuspecken.

Finanzmeldung
Kraft Foods kommt mit Angebot für Cadbury Plc zum Zuge
NORTHFIELD, IL (2. Februar 2010) - Ich begrüße die Cadbury-Beschäftigten herzlich in der Kraft Foods Familie und freue mich darauf, mit vielen von ihnen in den nächsten Tagen und Wochen zusammenzutreffen. Dieses nun verbundene Unternehmen hat eine phänomenale Zukunft vor sich, und ich bin der festen Überzeugung, es wird unseren Aktionären außergewöhnliche Renditen erbringen.
Irene Rosenfeld, Vorstandsvorsitzende von Kraft Foods
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Der Verhaltenskodex von Kraft Foods wird eingeleitet von einer alten Anzeige für Kool-Aid, ein zuckriges Getränkepulver: "Sie haben es als Kind geliebt. Sie vertrauen ihm als Mutter." Verbunden wird diese Anzeige mit einer geistvollen Botschaft der Konzernchefin Irene Rosenfeld. Die Kool-Aid Anzeige, so meint sie, "erfasst auf das Schönste das Wesen des Vertrauens, das seit mehr als hundert Jahren unser Handeln bestimmt." Vertrauen, so macht uns der Kodex klar, ist für Kraft der "alles entscheidende" Wert: "Vertrauen heißt, andere können darauf bauen, dass wir wahrheitsgemäß reden, unsere Verpflichtungen erfüllen und Menschen fair behandeln." Ferner erfährt der Leser: "Vertrauen ist empfindlich ... ein kontaminiertes Produkt verkaufen, Verbraucher irreführen, in unseren Bilanzen lügen - jede einzelne dieser Handlungen würde das Vertrauen zerstören." Vertrauensverlust bedeutet, dass "Mütter unserer Werbung nicht mehr glauben ..."

Nestlé setzt offensichtlich darauf, dass Mütter immer noch Vertrauen in die Tiefkühlpizzas von Kraft haben, die im August vorigen Jahres aufgrund des Nachweises eines nicht ausgewiesenen potenziellen Allergens in 17 US-amerikanischen Bundesstaaten zurückgerufen wurden. Im Januar nämlich legte das Unternehmen 3,7 Milliarden US-Dollar bar auf den Tisch, um die Sparte Tiefkühlpizzas von Kraft zu erwerben und ihm damit das dringend benötigte Geld für die Cadbury-Übernahme zu liefern.

Die britische Gewerkschaft Unite erhielt jüngst eine Lektion über wahrheitsgemäßes Reden und faire Behandlung, als Kraft unter dem massiven Druck einer britischen Öffentlichkeit, die sich noch gut daran erinnerte, dass Kraft vor einiger Zeit die berühmte Terry's-Schokoladefabrik in York übernahm und kurz darauf schloss, in zynischer Weise der Hoffnung Nahrung gab, dass die Cadbury-Fabrik in Somerdale, die Cadbury eigentlich schließen wollte, im Fall einer Übernahme durchaus weiterarbeiten könnte.

Laut einer Pressemitteilung der Unite vom 9. Februar ignorierte Kraft "wiederholte Bitten um Zusammenkünfte und Gespräche über die Zukunft". Die Unite stellte fest: "Selbst als Mitglieder der Konzernleitung in Somerdale waren und ihre Erklärung gegenüber unseren Mitgliedern vorbereiteten, versicherte ein Kraft-Vorstandsmitglied der Unite, dass noch keinerlei Beschluss gefasst worden sei und dass wir als Erste informiert würden. Das ist für die 6 000 übrigen Cadbury-Beschäftigten in Großbritannien und Irland die schlimmste aller möglichen Aussagen. Sie macht ihnen klar, dass Kraft seine Beschäftigten und die Gewerkschaft, die sie vertritt, gleichgültig sind."

Seit Jahrzehnten werden Kraft-Arbeitsplätze in den USA beseitigt und ausgelagert, während das Unternehmen jede Investorenkonferenz und Quartalsbilanz mit der Ankündigung weiterer Entlassungen und Betriebsschließungen vorbereitet. Wenn sie "Wachstum" hören, wissen die Beschäftigten, was sie zu erwarten haben. Cadbury Somerdale ist jedoch weder in Großbritannien noch bei Kraft Europa ein Einzelfall.

Der Beauftragte der Gewerkschaft GMB, der über die Schließung des Terry's-Betriebs verhandelte, nannte das Vorgehen "Tod durch Verheimlichung" und erläuterte: "Kraft erklärte uns privat, man suche einen geeigneteren Standort in York. Es sickerte aber bald durch, dass man seit jeher geplant hatte, die Produktion nach Osteuropa zu verlagern."

Seine Expansion in Europa begann Kraft in den 1990er Jahren mit der Übernahme von Jacob Suchard und drei Jahre später des skandinavischen Süßwarenunternehmens Freia Marabou. Da Freia Marabou seinen Sitz in Norwegen hatte, war Kraft gesetzlich gezwungen, seinen Geschäftsplan offenzulegen, um die Genehmigung der Regierung zu erhalten.

Um das Geschäft abschließen zu können, machte Kraft ausdrückliche Zusagen in Bezug auf die Fortführung der fünf Produktkategorien des Unternehmens. In rascher Folge wurden diese jedoch verkauft, ausgelagert oder ins Ausland verlegt. Heute gibt es nur noch die Sparte Schokolade. Kraft hatte erklärt, ein Hauptgrund für die Übernahme sei die Steigerung der Schokoladeproduktion; doch wurde diese Sparte durch Standortverlegungen und Auslagerungen ständig zurückgefahren. Die Zentrale der Nordischen Länder sollte in Oslo bleiben, wurde aber rasch nach Stockholm verlegt. Kraft versprach ferner, die Tradition und Kultur des Unternehmens zu bewahren. In Wirklichkeit aber wurden diese Werte wie Käse ausgewalzt, bis sie nicht mehr wiederzuerkennen waren.

Natürlich verweist Kraft seit eh und je auf veränderte Umstände als Gründe für solche plötzlichen Sinneswandlungen. Als der frühere Cadbury-Vorsitzende Roger Carr am 19. Januar verkündete, der Preis sei jetzt für Cadbury richtig, entdeckte er gleichzeitig, wenn auch verspätet, das Eintreten von Kraft für "unser Erbe, unsere Werte und unsere Mitarbeiter in der ganzen Welt", und das gerade mal fünf Tage, nachdem er öffentlich dieses Unternehmen als "Konglomerat ohne Zielrichtung" verhöhnt hatte. Ganz offensichtlich hatten sich die Umstände verändert. Carr konnte jedoch seine Aktienoptionen und Boni kassieren und weiterziehen. Die Kraft-Beschäftigten dagegen haben solche Möglichkeiten nicht und machen sich verständlicherweise Sorgen wegen ihrer Situation in einem Unternehmen, das aufgrund seiner Übernahmebulimie heftig verschuldet und kaum noch glaubwürdig ist, wenn es um so etwas Wesentliches geht wie ... Vertrauen.

Als Kraft die europäische Biskuitsparte von Danone kaufte, gab Rosenfeld bekannt, die Übernahme werde durch die Aufnahme neuer Kredite finanziert, damit auch weiterhin Barmittel bereitstünden, um das Aktienrückkaufprogramm zu finanzieren. Unter der erdrückenden Last seiner Schulden war Kraft jedoch gezwungen, diese Rückkäufe auszusetzen. Das Unternehmen investierte große Summen, um Investoren davon zu überzeugen, dass es gesund sei (und entließ weitere Tausende von Beschäftigten, um zu demonstrieren, wie wichtig ihm der "Mehrwert für die Aktionäre" war). Die Investoren sind nach wie vor nicht überzeugt, doch zumindest werden sie regelmäßig zu Konferenzen eingeladen. Die Unite konnte kein Treffen erreichen - und Kraft hat Forderungen der Gewerkschaften in aller Welt abgelehnt, mit ihnen und der IUL als globalem Partner zusammenzutreffen.

Die Lektion Somerdale wird nicht so leicht in Vergessenheit geraten. Kraft wäre gut beraten, wenn es sich klarmachte, dass Vertrauen in der Tat unerlässlich für gute Arbeitsbeziehungen ist und mehr erfordert als Kool-Aid und durchschaubare Lügen.