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Rückkehr der Aussperrung

18.03.15 Editorial
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Nach Jahrzehnten eines relativen Niedergangs sind Aussperrungen als bevorzugte Waffe der Arbeitgeber zurückgekehrt. Aussperrungen sind keine Reaktion auf Streiks oder Arbeitnehmer/innenforderungen mehr, wie oft in der Vergangenheit, sondern sie sind zunehmend offensiv, ermutigt durch Gesetzesänderungen, die die Macht der Gewerkschaften und den Einsatz von Streiks einschränken, und/oder durch eine Schwächung der Durchsetzungsmechanismen in den Systemen der Arbeitsbeziehungen, die einst dem Schutz der Arbeitnehmer/innen dienten. Infolgedessen sind sie häufiger geworden und dauern sie länger, da die Arbeitgeber immer größere Zugeständnisse verlangen.

Aggressive Aussperrungen haben die globale Lebensmittelindustrie erfasst, von der Fleischverarbeitung in Neuseeland bis zu Zerealien-, Kartoffelstärke- und Zuckerproduzenten in den USA. Die BCTGM in den Vereinigten Staaten musste in den vergangenen vier Jahren gegen 3 längere, brutale Aussperrungen bei Großkonzernen kämpfen. Die Lebensmittelindustrie ist aber nicht allein betroffen – Aussperrungen sind in vielen Sektoren und Ländern auf dem Vormarsch.

Das gemeinsame Merkmal dieser zunehmenden Zurschaustellung von Arbeitgebermacht ist ihre Offensivfunktion. Beschäftigte werden nicht von Arbeitgebern ausgesperrt, die mit sinkenden Gewinnen zu kämpfen haben; viele Konzerne, die Aussperrungen einsetzen, verzeichnen Rekordgewinne und schwimmen im Geld. Sie tun es, weil sie es sich leisten können. Es ist eine Antwort auf eine Verschiebung der Machtverhältnisse und somit ein Hebel für eine immer weitere Steigerung der Macht des Kapitals. Es ist ein Instrument für die Erwirtschaftung von Renditen in zweistelliger Höhe, während gleichzeitig die Fähigkeit der Arbeitnehmer/innen zu einer wirkungsvollen Mobilisierung weiter geschwächt wird.

Die meisten nationalen Systeme für die Erhebung von Arbeitsstatistiken vermischen Streiks und Aussperrungen unter der Rubrik ‘Arbeitsniederlegungen’. In diesen Zahlen sind ausgefallene Arbeitstage ausgefallene Arbeitstage, gleich ob sie auf einen Streik oder eine Aussperrung zurückzuführen sind. Es gibt keine Möglichkeit, zwischen den beiden zu unterscheiden, und ein allgemeiner Rückgang von Arbeitsniederlegungen kann eine Zunahme von Aussperrungen verschleiern. Die Beschäftigten, die die Aussperrungsoffensive der Arbeitgeber zu spüren bekommen, können zwischen den beiden entscheiden und tun es auch.

Schlampige Statistiken verschleiern die brutale Realität des wachsenden Appetits des wiedererstarkenden Kapitals auf Aussperrungen. Die Beschäftigten können sich Schlamperei nicht leisten und müssen über den Status von Aussperrungen im internationalen Recht und speziell im internationalen Menschenrecht eindeutig Bescheid wissen.

Das Streikrecht, das sich aus dem Vereinigungsrecht ergibt, ist ein Menschenrecht, das in den grundlegenden Menschenrechtsinstrumenten verankert ist. In den vergangenen sechs Jahrzehnten hat die IAO eine umfangreiche Jurisprudenz entwickelt, die das Streikrecht ausdrücklich mit dem Übereinkommen 87 in Zusammenhang bringt. Ohne dieses Recht kann es keine Vereinigungsfreiheit für die Arbeitnehmer/innen geben. Das Recht der Arbeitnehmer/innen auf Vereinigungsfreiheit, indem sie Gewerkschaften bilden, ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte festgelegt. Im Zusammenhang mit der Vereinigungsfreiheit ist das Streikrecht ausdrücklich im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aufgeführt. Das Übereinkommen 87 ist Teil des internationalen Gewohnheitsrechts auf dem Gebiet der Menschenrechte.

Keines dieser Instrumente erwähnt Aussperrungen oder Arbeitgeber‘rechte’. Nirgendwo in der Jurisprudenz der IAO ist festgelegt, dass dem Streikrecht der Arbeitnehmer ein gleichwertiges Aussperrungsrecht der Arbeitgeber gegenübersteht. Es gibt keine IAO-Jurisprudenz zu einem Aussperrungs‘recht’ der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Übereinkommen 87 oder in irgendeinem anderen Zusammenhang. Regierungen können Aussperrungen verbieten, legalisieren oder einschränken, sie können sich dabei aber weder auf die Instrumente der IAO noch auf andere internationale Menschenrechtsinstrumente berufen.

Die Möglichkeit zur Durchführung von Aussperrungen ist ein gesetzlicher Anspruch, der in den nationalen Rechtsordnungen in unterschiedlichem Maße durchgesetzt werden kann, es gibt aber kein Menschenrecht auf Aussperrung. Arbeitnehmer/innen dagegen, die kollektiv die Arbeit niederlegen, üben ein grundlegendes Menschenrecht aus. Das Menschenrecht der Arbeitnehmer/innen, Gewerkschaften zu bilden und zu streiken, als Ausdruck von Vereinigungsfreiheit, gründet sich auf der ausdrücklichen Anerkennung, dass Arbeitnehmer/innen sich gegenüber dem Kapital in einer ungleichen Verhandlungsposition befinden. Die Aussperrung ist ein nackter Ausdruck von Klassenmacht, und es ist wichtig, auf diesen wesentlichen Unterschied hinzuweisen zu einer Zeit, da das Streikrecht, das in vielen Ländern ohnehin schon durch viele Einschränkungen behindert wird, bei der IAO und anderswo attackiert wird.