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Gewerkschaftsführerin jüngstes Ziel im Krieg der türkischen Regierung gegen die Demokratie

24.06.16 Editorial
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Die IUL verurteilt die Verhaftung von Arzu Cerkezoglu, Generalsekretärin des nationalen Gewerkschaftszentrums DISK, die am 17. Juni festgenommen wurde wegen "Präsidentenbeleidigung" im Rahmen einer Rede, die sie im vergangenen Jahr gehalten hatte. Cerkezoglu war im Begriff, eine Reise ins Ausland anzutreten, als sie verhaftet, von Staatsanwälten verhört und später wieder freigelassen wurde.

Arzu Cerkezoglu ist nicht das erste Gewerkschaftsmitglied, gegen das der Vorwurf der Präsidentenbeleidigung erhoben und deshalb ermittelt wird - und sie wird nicht das letzte sein, solange die türkische Regierung nicht wirksam unter Druck gesetzt wird, fundamentale demokratische Rechte zu respektieren. Seit Amtsantritt von Präsident Erdogan im August 2014 wurden bereits rund 1.850 Strafsachen nach Artikel 199 des Strafgesetzbuches eröffnet, um das "Verbrechen" der Präsidentenbeleidigung zu ahnden. Dieses Gesetz wird auf breiter Front angewandt, um Journalisten, Rechtsanwälte mundtot zu machen und soziale, kulturelle sowie politische Äußerungen jedweder Art im Keim zu ersticken. Eine Verurteilung kann Inhaftierung von bis zu 4 Jahren bedeuten.

Verhaftungen, Ermittlungen und Inhaftierungen nach Artikel 199 und weiteren, ähnlich repressiven Artikeln des Strafgesetzbuches sind für die Regierung das Mittel der Wahl, um den zusehends schwindenden Raum für demokratischen Dissens vollends zu beseitigen. Im Mai stimmten pro-Erdogan eingestellte Staatsanwälte dafür, einem Drittel der Parlamentarier die Immunität abzuerkennen, was den Weg für deren strafrechtliche Verfolgung ebnen würde aufgrund von Anklagepunkten, die von "Beleidigung des Präsidenten" bis hin zu "Unterstützung des Terrorismus" reichen könnten. Erdogan strebt nun endgültig die Festigung und Stabilisierung einer uneingeschränkten autoritären Exekutive an - ein Bestreben, dem mit dem Durchbruch der Demokratischen Volkspartei HDP bei den Wahlen im letzten Jahr vorübergehend Einhalt geboten worden war.

Der Europäischen Union kommt - angesichts ihrer vielfältigen Verbindungen zur Türkei - eine besondere Verantwortung zu, auf diese Eskalation der Unterdrückung zu reagieren. Doch stattdessen hat sie mit Unterzeichnung des Flüchtlingsabkommens Erdogan die Aufgabe übertragen, die Flüchtlinge aus Europa heraus zu halten, und damit alle demokratischen Prinzipien über Bord geworfen.  Das Schweigen der EU ist der Preis politischer Erpressung. Ein international koordiniertes Vorgehen der Gewerkschaften zur Verteidigung der Demokratie in der Türkei - und zur Einforderung von Garantien für die dort noch immer fehlenden grundlegenden Gewerkschaftsrechte - ist nötiger als je zuvor.