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Unilever, Kraft Heinz und mit den Haien schwimmen

28.02.17 Editorial
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Unilever führt eine umfassende Überprüfung der verfügbaren Optionen für eine beschleunigte Wertschöpfung zugunsten unserer Aktionäre durch. Die Ereignisse der letzten Woche haben gezeigt, wie wichtig es ist, den Wert, den wir in Unilever sehen, rascher zu steigern. Wir gehen davon aus, dass die Überprüfung Anfang April abgeschlossen sein wird. Danach werden wir weitere Mitteilungen herausgeben.

Unilever-Pressemitteilung vom 22.02.2017

Die gesamte Lebensmittelindustrie "3G-eht sich" selbst, bevor Kraft Heinz es den Konzernen antun kann.

Fortune Magazine Februar 2017,
How Kraft Heinz Plans to build a New Global Food Giant (auf Englisch)

Unilever brauchte nur 48 Stunden, um ein 143 Milliarden USD schweres Kraft Heinz-Übernahmeangebot abzuwehren; die Schockwellen werden bei Unilever und darüber hinaus aber noch lange zu spüren sein. Mit der Instrumentalisierung von Kraft Heinz, um ein weitaus grösseres Unternehmen zu schlucken, hat der Private Equity-Investor 3G Capital - die treibende Kraft bei Kraft Heinz, AB InBev und Burger King - wieder einmal gezeigt, in welchem Ausmass er der Lebensmittelindustrie und dem Sektor der 'schnelllebigen Konsumgüter' als Ganzes seinen Stempel aufgedrückt hat.

3G's finanzielle und operative Methoden haben die finanziellen Ansprüche an die Lebensmittelindustrie in die Höhe getrieben, indem zuvor unvorstellbare operative Margen als neuer Investorenmassstab festgesetzt wurden. Kraft Heinz prahlt mit Gewinnmargen von über 20% und lockt Investoren mit Versprechungen noch höherer Renditen. Wettbewerber, die das Ziel verfehlen oder zu langsam agieren, werden sofort abgestraft. Die Strafe sind geringere Investorenrenditen durch Attackieren des Aktienkurses oder Tod durch Übernahme.

Wie schaffen sie es, diese Margen aus einer Flasche Ketchup oder einer Dose Bier herauszuquetschen? Während traditionelle Fremdfinanzierungs-Firmenaufkäufer Übernahmen mit Schulden finanzieren, Geld absaugen und die Investition dann abstossen, nimmt 3G Kredite auf, kauft und senkt erbarmungslos die Kosten, hält aber an dem erworbenen Unternehmen fest. 3G tätigt dann eine grössere neue Übernahme, bevor das Wachstum der Margen aufgrund notwendiger neuer Investitionen zur Finanzierung realen Wachstums gefährdet wird. Das neuerworbene Unternehmen finanziert ein kontinuierliches Margenwachstum mit einer neuen Runde von Fabrikschliessungen und Lohn- und Gehaltskürzungen, und das grössere, schlankere Unternehmen lässt dann bei den Einzelhändlern und Zulieferern seine dickeren Muskeln spielen. Und schickt sich an, einen weiteren Konkurrenten zu schlucken.

Dieses Vorgehen erfordert ständige Bewegung: das Magazin Fortune nennt es "Kaufen, ausquetschen, wiederholen." "Es ist wie ein Hai, der nicht aufhören kann zu schwimmen," erklärte eine renommierte Führungskraft der Lebensmittelindustrie gegenüber Fortune. Es hat überragende Erfolge in Finanzmärkten, die auf kurzfristige Ergebnisse aus sind. Die operativen Margen geben Auskunft über die betrieblichen Erträge je Umsatzeinheit eines Unternehmens. Für 3G ist es ein Mass für seine Fähigkeit, die Schulden abzutragen - und die nächste Übernahme zu finanzieren. Der Aktienkurs des Unternehmens wird aufgebläht im Verhältnis zu den tatsächlichen Erträgen in Erwartung künftiger Megagewinnne durch neue Übernahmen. Was das 3G-Modell nicht kann, ist langfristiges Wachstum durch Forschung und Investitionen aufbauen, was natürlich Kosten bedeutet, und Kosten sind, dem berühmten Ausspruch eines der brasilianischen Gründer von 3G zufolge, "wie Fingernägel, die ständig geschnitten werden müssen."

Der Hai muss nicht nur immer weiter schwimmen. 3G's hungriges Kapital muss sein Tempo und seine Kalorienaufnahme ständig erhöhen. Im Jahr 1999 verschmolzen die Gründer des späteren 3G ihre brasilianischen Brauereien zu AmBev. AmBev erwarb im Jahr 2004 das in Belgien ansässige Interbrew und wurde damit zu InBev. InBev kaufte im Jahr 2008 für 52 Milliarden USD das in den USA ansässige Anheuser-Busch und wurde damit zu AB InBev. AB InBev schluckte gegen Ende 2015 für 107 Milliarden USD in bar SABMiller.

Im Jahr 2013 schloss sich 3G mit Warren Buffetts Berkshire Hathaway zusammen, um Heinz im Rahmen einer hochgradig fremdfinanzierten 28 Milliarden USD schweren Übernahme zu privatisieren; keine 2 Jahre später fusionierten Buffet und 3G die Kraft Foods Group mit Heinz in einem Deal, der Kraft mit mehr als 46 Milliarden USD bewertete.

Das 3G-Modell erfordert hohe Schulden bei niedrigen Zinssätzen, willfährige Wettbewerbsbehörden, Steuerregime, die Schulden gegenüber Eigenkaptal den Vorzug geben, und Regierungen, die die Vernichtung von Arbeitsplätzen subventionieren. In Davenport, Iowa, bekommt Kraft Heinz 4,7 Millionen USD geschenkt für eine neue Fabrik, die nur ein Drittel der Belegschaft der älteren Fabrik beschäftigen wird, die geschlossen wird. Massive soziale Vernichtung ist in das Modell eingebaut.

3G machte aus einer brasilianischen Brauerei den globalen Giganten AB InBev durch Freisetzungen und gnadenlose Kostensenkung und schaffte es, noch mehr Barmittel aus Burger King herauszuquetschen (auf Englisch), als es es von einem früheren Private Equity-Konsortium übernahm. In den 20 Monaten nach der fremdfinanzierten Übernahme von Heinz durch 3G/Berkshire Hathaway baute das Unternehmen 23 Prozent der weltweiten Belegschaft durch Schliessungen, Umstrukturierung und Prekarisierung ab. Die operativen Margen legten um 4,5 Prozent zu. Die Investoren waren begeistert.

Das Kraft Heinz-Übernahmeangebot für Unilever wäre im Fall eines Erfolges das drittgrösste in der Unternehmensgeschichte gewesen. Das Angebot bestand aus Barmitteln und Aktien, die Barmittel hätten aber mehr als 87 USD Milliarden des Gesamtbetrags ausgemacht. Das Unilever, das daraus hervorgegangen wäre, wäre hochverschuldet und einem ausserordentlichen Kostendruck ausgesetzt gewesen. Man hätte es nicht wiedererkannt.

Im Gegensatz zu den Unternehmen des 3G-Portfolios, die die Investitionen drastisch gekürzt haben, hat Unilever in den vergangenen 6 Jahren kräftig investiert, zuvor ausgelagerte Produktionsteile zurückgeholt und die prekäre Beschäftigung verringert. Der Druck auf die Belegschaft ist gestiegen, so wie er unter dem Druck der Finanzmärkte überall gestiegen ist, aber Unilever erkennt die IUL an, hat sich öffentlich zur Einhaltung der Gewerkschaftsrechte verpflichtet und seine Verpflichtung durch ein ernsthaftes Engagement mit der IUL auf Konzern- und lokaler Ebene untermauert. Dieses Engagement wäre zusammen mit Tausenden von Arbeitsplätzen (und dem 'Sustainable Living Plan' des Konzerns) eines der ersten Opfer einer Übernahme durch 3G.

Unilever mag die unmittelbare Drohung einer Übernahme durch 3G - vorerst - abgewendet haben, aber der 3G-Effekt schwebt drohend über Unilevers "umfassender Überprüfung der verfügbaren Optionen für eine beschleunigte Wertschöpfung zugunsten unserer Aktionäre." Finanzanalysten drängen Unilever schon seit Jahren dazu, seine grosse Sparte Brotaufstriche abzustossen (auf Englisch), trotz ihres erheblichen Beitrags zum Cashflow und zum Gewinn des Konzerns. Der Übernahmeschock wird die Diskussionen über die Aufspaltung von Lebensmittel- und Haushalts- und Körperpflegeprodukten wieder aufleben lassen. Was immer dabei herauskommt, die Gewerkschaften werden sich organisieren müssen und kampfbereit sein müssen.