Home

Die globale Offensive der Zeitarbeitsunternehmen zurückschlagen

24.11.10 Editorial
Druckversion

Wegwerf-Jobs sind auf dem Vormarsch – und die globalen Zeitarbeitsunternehmen haben sich Russland als neues Schlachtfeld in ihrer globalen Offensive ausgesucht.

Zwei Mitglieder der russischen Duma (Parlament), einer von ihnen der Vorsitzende der Berg- und Metallarbeitergewerkschaft, haben einen Gesetzesentwurf eingebracht, der Zeitarbeitsunternehmen im Land effektiv verbieten würde. Der Gesetzesentwurf würde die Verwendung von direkten Arbeitsverträgen in allen Fällen vorschreiben, in denen ein direktes Arbeitsverhältnis vorliegt, indem die Schaffung eines „dreiseitigen“ Verhältnisses durch Einschaltung einer Agentur zwischen den Beschäftigten und dem tatsächlichen Arbeitgeber verboten würde. Dies hat heftige Reaktionen der globalen Vereinigung der Zeitarbeitsunternehmen, Ciett, hervorgerufen, die bei den russischen Parlamentariern Lobbying im Namen der ... Wahrung der Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen betreibt.

Zeitarbeit befindet sich in Russland derzeit in einer Grauzone – es gibt weder eine gesetzliche Grundlage dafür, noch ist sie ausdrücklich illegal. Dieser unsichere Status hat die Expansion der Unternehmen gebremst, die auf Ausweitung des lukrativen Marktes für Wegwerf-Jobs erpicht sind. Die russischen Arbeitnehmer/innen können dankbar dafür sein, dass in Russland derzeit Schätzungen zufolge höchstens 100.000 Arbeitsplätze mit Arbeitskräften besetzt sind, die von Zeitarbeitsunternehmen vermittelt worden sind, obgleich natürlich andere Formen von prekärer Arbeit vorhanden sind. Für die Branche steht mehr auf dem Spiel als der riesige russische Markt – die gesetzliche Grauzone besteht in der gesamten ehemaligen Sowjetunion. Namibia hatte ein Verbot der Zeitarbeitsunternehmen erlassen, doch wurde das Gesetz zu Fall gebracht, nachdem die Lobby der Zeitarbeitsunternehmen es im Namen der Wahrung ihrer „grundlegenden Rechte“ angefochten hatte; eine ähnliche Debatte ist in Südafrika im Gang, wo COSATU sich heftig gegen eine Ausweitung der Möglichkeiten für den Einsatz von Zeitarbeit zur Wehr setzt.

Ist die Ciett das Sprachrohr der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen?

Die Ciett, die von den globalen Zeitarbeitsgiganten und einem Netz von nationalen Verbänden unterstützt wird, bezeichnet sich selbst als „das maßgebliche Sprachrohr für die Vertretung der Interessen der Zeitarbeitsunternehmen“. Konfrontiert mit einem gesetzlichen Hindernis, ändert das Sprachrohr seine Stimmlage. Ein Schreiben, das die Ciett kürzlich an den Präsidenten des russischen Parlaments richtete, beginnt mit der Feststellung, dass ein Verbot der Zeitarbeit „vom Standpunkt der Wahrung der Interessen der Beschäftigten unangebracht“ ist.

Laut der Ciett dienen Zeitarbeitsunternehmen den Interessen der Arbeiterklasse, indem sie „Arbeitsplätze schaffen, die sonst nicht geschaffen worden wären, und infolgedessen die Arbeitslosigkeit verringern“, eine „Etappe auf dem Weg zu einer Daueranstellung“ bieten und dazu beitragen, „das optimale Gleichgewicht zwischen der Flexibilität und dem Schutz der zeitweilig durch die Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer/innen“ zu erzielen.

In Verfolgung dieser hehren Ziele drängt die Ciett die Russische Föderation zur Ratifizierung des IAO-Übereinkommens 181, des Übereinkommens über private Arbeitsvermittler.

Mit diesen Argumenten verlassen wir die Realität und treten in den Bereich purer Ideologie ein. Arbeitsplätze werden durch Investitionen geschaffen, nicht durch die Vermittlung von Leiharbeitskräften. Die explosionsartige Ausbreitung der prekären Arbeit in den letzten Jahrzehnten ist Hand in Hand gegangen mit der Zunahme von Armut, Ungleichheit, Unsicherheit und einem starken Rückgang der gewerkschaftlichen Organisierung und Verhandlungsstärke. Dies sind die Jahrzehnte, in denen die Zeitarbeitsunternehmen weltweit zu einem Höhenflug angesetzt und die Zahl ihrer Mitarbeiter erhöht, ihre Gewinne gesteigert und ihre Lobbytätigkeit verstärkt haben. Es gibt keine schlüssigen Beweise dafür, dass Zeitarbeit eine „Etappe“ auf dem Weg zu einer Daueranstellung ist (oder vielleicht brauchen wir einfach mehr davon); dagegen gibt es massive Erfahrungen mit Unternehmen in jedem Sektor, wo prekäre Arbeit, die früher die Ausnahme war, die direkte Beschäftigung verdrängt hat und zur Regel geworden ist. Die Mitglieder der IUL und die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen allgemein müssen das „optimale Verhältnis zwischen Flexibilität und Schutz“, für das die Ciett sich stark macht, noch am eigenen Leib erfahren.

Nutzen und Missbrauch des Übereinkommens 181

Das Übereinkommen 181 soll die Tätigkeiten von privaten Arbeitsvermittlern regeln, wo sie bereits tätig sind oder die gesetzliche Grundlage für ihre Einrichtung geprüft wird. Es ist ebenso wenig ein Mittel zur Förderung ihrer Expansion, wie das Übereinkommen 184 über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft eine Blaupause für den verstärkten Einsatz von Pestiziden ist.

In dem relativ kurzen Text des Übereinkommens finden sich nicht weniger als 7 konkrete Hinweise darauf, dass die Regierungen in jeder Phase „die maßgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer“ anzuhören haben, angefangen mit der grundlegenden Frage der Festlegung der „rechtlichen Stellung der privaten Arbeitsvermittler“. Diese „Anhörung“ sollte sich vermutlich nicht auf Hinterzimmer-Lobbying und begrenzte parlamentarische Debatten beschränken und greift dem Ergebnis der Anhörung eindeutig nicht vor. Die Gewerkschaften müssen auf jeder Ebene aktiv an Entscheidungen beteiligt werden, die die grundlegenden Elemente der Arbeitsmarktregulierung gestalten können, und es darf ihnen nicht gesagt werden, dass die Erörterung der „rechtlichen Stellung“ nur die Einzelheiten betrifft und nicht die grundlegende Frage, ob es Zeitarbeitsunternehmen gestattet werden sollte, in ihrem Gebiet tätig zu werden. Ein Ausschluss ist auf jeden Fall eine Option.

Die Ciett sollte aufgefordert werden, russische Beschäftigte an ihren Arbeitsplätzen aufzusuchen und ihnen die Vorteile von Wegwerf-Jobs zu erklären.

Ferner wird in dem Übereinkommen ausdrücklich festgestellt, dass die Regierungen nach Anhörung der maßgebenden Verbände der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und im Rahmen der Bestimmungen des Übereinkommens es privaten Arbeitsvermittlern verbieten können, „für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern oder Wirtschaftszweige“ tätig zu werden. So unterschiedliche Länder wie Belgien, Spanien und Norwegen haben zeitweilig Leiharbeit in der Landwirtschaft, in Hotels, im Baugewerbe, „in gefährlichen Berufen“ und im gesamten öffentlichen Sektor verboten. Sollten die Länder das Übereinkommen ratifizieren, so ist dies kein Blankoscheck für die Agenturen, in allen öffentlichen und privaten Arbeitsstätten Einzug zu halten – die Regierungen behalten das Recht, Verbote und Einschränkungen zu verfügen.

Die IAO und prekäre Arbeit – laufende Arbeiten

Da die Arbeitgeber im Namen der IAO für ihr Produkt werben, ist es notwendig, die tatsächlichen Aussagen der IAO zu prekärer Arbeit und Gewerkschaftsrechten genauer unter die Lupe zu nehmen.

IAO-Übereinkommen legen Normen fest; ebenso wichtig ist die Jurisprudenz, die sich im Zuge der Bewährung der Übereinkommen unter tatsächlichen Bedingungen herausbildet. Die Jurisprudenz – die fortlaufende Weiterentwicklung der Bedeutung und Anwendung von Normen unter sich wandelnden Bedingungen – entsteht durch den Kampf der Arbeitnehmer/innen, einschließlich des Kampfes gegen Wegwerf-Jobs. In neueren Beschlüssen des IAO-Ausschusses für Vereinigungsfreiheit aufgrund von Klagen seitens Gewerkschaften in Korea und Kolumbien ist festgelegt worden, dass die Arbeitnehmerüberlassung, soweit sie Arbeitnehmer/innen an Verhandlungen mit dem „Einsatzbetrieb“, dem tatsächlichen Boss, hindert, die Kernübereinkommen 87 und 98 über die Vereinigungsfreiheit und das Recht der Arbeitnehmer/innen, kollektiv mit ihrem Arbeitgeber zu verhandeln, unterläuft.

Auslagerung der Verantwortung, Beschneidung der Verhandlungsstärke

Die wesentliche Tätigkeit der Zeitarbeitsunternehmen – und die gefährlichste – wird in Artikel 1 (b) des Übereinkommens 181 definiert als Erbringung von „Dienstleistungen, die in der Beschäftigung von Arbeitnehmern bestehen mit dem Ziel, sie einer dritten Person zu überlassen, bei der es sich um eine natürliche oder eine juristische Person (nachstehend als „Einsatzbetrieb“ bezeichnet) handeln kann, die ihre Aufgaben festlegt und deren Ausführung überwacht“. Dies ist genau der Mechanismus, mit dessen Hilfe der tatsächliche Arbeitgeber, der die Arbeit organisiert, die Aufgaben zuweist und die Personalstärke sowie die Beschäftigungsbedingungen festlegt, sich jeder Verantwortung entzieht und die Beschäftigten an der Ausübung ihrer Rechte hindert.

Bei der Beschäftigung von prekären Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen über Zeitarbeitsunternehmen geht es nicht nur darum, Kosten zu sparen, wenngleich dies ein nicht unbedeutender Aspekt ist. Es geht darum, die Größe und damit die Stärke der Kollektivverhandlungseinheit, über die die Gewerkschaften die Arbeitsbedingungen aushandeln, zu beschneiden, manchmal soweit, dass sie praktisch nicht mehr existiert. Das Übereinkommen 181 bekräftigt das Recht der Beschäftigten, ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit in Bezug auf ihren formellen Arbeitgeber, den Arbeitsvermittler, auszuüben; in Bezug auf den tatsächlichen Arbeitgeber hüllt es sich in Schweigen. Unter diesen Umständen sind das Recht auf Vereinigungsfreiheit und das Recht zu Kollektivverhandlungen rein formelle Rechte, da sie in der Praxis nicht ausgeübt werden können. (Siehe IUL erklärt gegenüber VN, dass prekäre Arbeit die Menschenrechte untergräbt! - in Englisch.)

Deshalb sind die Gewerkschaften zunehmend dazu gedrängt worden, von ihrer tatsächlichen Verhandlungsstärke zur Aushandlung von Vereinbarungen Gebrauch zu machen, um die Möglichkeit der Arbeitgeber, Leiharbeitskräfte einzusetzen, stark einzuschränken. Schweden hat private Arbeitsvermittler 1994 legalisiert – und Wegwerf-Jobs hielten rasch Einzug in die Arbeitsstätten. Es bedurfte eines jahrelangen Kampfes und der Androhung eines landesweiten Streiks Anfang dieses Jahres, bis es den schwedischen Nahrungsmittelarbeitern/arbeiterinnen gelang, eine nationale Vereinbarung durchzusetzen, in der festgelegt wird, dass Leiharbeitskräfte erst nach Verhandlungen mit der örtlichen Gewerkschaft eingesetzt werden dürfen.

Die Gefräßigkeit der Zeitarbeitsunternehmen bedeutet, dass die von ihnen entsendeten Beschäftigten nicht als eine gesonderte Kategorie in einem eigenen Sektor behandelt werden können. Sie sind zunehmend in allen Sektoren anzutreffen. Aus diesem Grund fordern die Gemeinsamen Grundsätze für Zeitarbeitsunternehmen (in Englisch) der globalen Gewerkschaftsbünde nachdrücklich, dass für Leiharbeitskräfte neben anderen Maßnahmen dieselbe Kollektivvereinbarung gelten sollte wie für die anderen Beschäftigten im Einsatzbetrieb.

Die Agenda für menschwürdige Arbeit voranzutreiben, heißt die fortlaufende Beschneidung und Teilung der organisierten Verhandlungsstärke am Arbeitsplatz einzudämmen, statt sich an diese anzupassen. Auf dieser Basis sollten die Ciett und ihre Anhänger konfrontiert und herausgefordert werden, wenn weitreichende Änderungen der Arbeitsgesetzgebung auf dem Spiel stehen – und wenn fälschlicherweise die Rechte der Arbeitnehmer/innen ins Feld geführt werden.