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Kraft-Vorstandsvorsitzende verschwindet, während das Unternehmen seine Verschleierungstaktiken verstärkt

25.03.11 Editorial
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Die Vorstandsvorsitzende von Kraft, Irene Rosenfeld, ist letzte Woche der Aufforderung, vor einem britischen parlamentarischen Untersuchungsausschuss auszusagen, nicht nachgekommen und hat sogar ein Angebot abgelehnt, Fragen per Video-Schaltung zu beantworten. "Kraft lehnt eine Stellungnahme zu Rosenfelds Aufenthaltsort ab", meldete der britische Guardian am 15.März.

Auch im letzten Jahr war Rosenfeld zu einer ähnlichen Anhörung nicht erschienen, nachdem Kraft hinsichtlich der Weiterführung der britischen Cadbury-Fabrik in Somerdale eine abrupte Kehrtwende vollzogen hatte (siehe Kraft auf Diät nach dem Cadbury-Festessen). Während seiner viermonatigen Jagd auf Cadbury hatte Kraft Hoffnungen genährt, dass der Standort erhalten werden könnte, um Zustimmung zu der Übernahme zu erlangen. Als die Übernahme unter Dach und Fach war, teilte Kraft den 400 Somerdale-Beschäftigten mit, dass sie Pech hätten. Die staatliche Übernahmekommission rügte Kraft formell wegen "unverantwortlichen" Verhaltens – und Rosenfeld wurde wieder eingeladen, um zu sehen, wie das Unternehmen mit der im letzten Jahr gegebenen Zusicherung umging, ein zweijähriges Moratorium in Bezug auf weitere Freisetzungen einzuhalten.

Rosenfelds Vertreter lehnten es ab, sich zu einer Verlängerung des Moratoriums in Bezug auf Zwangsfreisetzungen zu verpflichten, das 2012 abläuft, gaben aber bekannt, dass Kraft die Löhne- und Gehälter und die Leistungen bei Cadbury "harmonisieren" würde. Sie versicherten den Parlamentariern jedoch, dass dies keine "Kostensenkungsmaßnahme" sei.

Kraft ist auch fleißig dabei, Cadbury in sein europäisches Steuervermeidungsmodell zu "harmonisieren". Im Dezember letzten Jahres enthüllten Presseberichte, dass Kraft wesentliche Teile von Cadbury umstrukturiere, indem die Gewinne in der Schweiz verbucht würden, wo die Unternehmenssteuersätze nur halb so hoch sind wie im VK. Die britischen Cadbury-Betriebe würden im Auftrag einer neugegründeten schweizerischen Holding-Gesellschaft produzieren, die technisch die Eigentümerin der von den Cadbury-Beschäftigten hergestellten Erzeugnisse sein würde. Wenn die Holding-Gesellschaft das Eigentum an den Marken erwirbt, würde sie ihrerseits Cadbury eine Lizenzgebühr in Rechnung stellen. Die Lizenzgebühren würden von Krafts britischer Unternehmenssteuer abgezogen werden – so dass dem Finanzministerium eine noch größere Summe entgehen würde.

Natürlich hat all das nichts mit Steuervermeidung oder gar "der Realisierung von Steuereffizienzen" zu tun. Es geht um "diszipliniertes Cash-Management" und "Umsetzung der Synergien aus der Cadbury-Übernahme".

Dieser hübsche Buchhaltungstrick folgt nur auf Krafts laufende Umstrukturierung seiner europäischen und sonstigen britischen Betriebe. Krafts britischer Jahresabschluss für 2009 erläutert schön, wie das geht: "Bis April 2009 bestand die Haupttätigkeit des Unternehmens in der Herstellung und im Vertrieb von Nahrungsmitteln für die Einzelhandels-, Food service- und Automatengetränkemärkte ... Die Direktoren billigten den Verkauf der Aktiva und Passiva im Zusammenhang mit den Service- und Beschaffungsfunktionen von Kraft Foods UK Ltd an die VK-Filialen der schweizerischen Unternehmen, nämlich Kraft Foods Europe Procurement GmbH und Kraft Foods Europe Services GmbH ... Nach Abschluss der Umstrukturierung fungiert Kraft Foods UK Ltd als Verkaufs- und Vertriebsunternehmen, das Kraft Food-Produkte auf den bestehenden britischen Märkten und an die britischen Kunden verkauft".

Der Schwerpunkt der Tätigkeit von Kraft, des größten US-amerikanischen Lebensmittelkonzerns und weltweit die Nummer zwei nach der Übernahme von Cadbury (die letztes Jahr den Umsatz auf den Märkten der Entwicklungsländer um über 60% in die Höhe schießen ließ), was der schwer zu fassenden Irene Rosenfeld eine Jahres-Gesamtvergütung in Höhe von 26,3 Millionen USD einbrachte, sind also nicht mehr die Herstellung und der Vertrieb von Lebensmittelprodukten?

Diese Ankündigung kommt für die Gewerkschaften in Nordamerika nicht überraschend, wo ein Großteil der Produktion des Unternehmens an Vertragshersteller ausgelagert worden ist, wie die notorische gewerkschaftsfeindliche Consolidated Biscuit Company (CBC), die einige der Nabisco-Marken von Kraft produziert. Andere Kraft-Erzeugnisse werden regelmäßig abwechselnd an andere Hersteller ausgelagert – so dass die Vertragshersteller, aber auch die Arbeiter und Arbeiterinnen und die Gewerkschaften ständig verunsichert, ständig unter Druck sind. Dies wird als "Aufbau einer Weltklasse-Lieferkette" bezeichnet.

Nachdem Kraft sich Cadbury einverleibt hatte, schnellte der Beschäftigungsstand bei Kraft kurzzeitig in die Höhe, aber die Auslagerung der Beschäftigung wird sich beschleunigen, da Kraft seine Übernahme verdauen muss. Ob sie für ein von einer schweizerischen Holding-Gesellschaft kontrolliertes Unternehmen produzieren, für einen Vertragshersteller arbeiten oder bei einem Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt sind, das einem Vertragshersteller Arbeitskräfte zur Verfügung stellt, eine wachsende Anzahl derjenigen, die Kraft-Produkte herstellen, werden nicht mehr von Kraft beschäftigt.

Dieser Prozess endet nicht unbedingt mit der Verlegung der Steuerbasis in die Schweiz. Es können mehr Zwischengesellschaften gegründet werden, um Vermögenswerte unterzubringen und die Lohnkosten zu senken. Kraft kann die Arbeitskräfte, die Cadbury-Produkte herstellen, von einer formell unabhängigen Drittpartei "ausleihen". Kraft nennt das "verstärkte Investitionen in unsere Power-Marken".

Die Verschleierungstaktiken halten Kraft nicht davon ab, unverschämte Behauptungen in Bezug auf „Verantwortlichkeit“  aufzustellen, trotz seiner sinkenden Lohn- und Gehaltskosten und Steuerverbindlichkeiten. Die britischen Parlamentarier sollten Rosenfeld vielleicht überraschen, wenn sie das nächste Mal irgendwo auftaucht, um ihren nächsten "Nachhaltigkeits"-Preis entgegenzunehmen. Wenn Kraft schließlich aus Cadbury "einen köstlichen Unterschied" gemacht hat, wird von dem früheren Unternehmen möglicherweise zu wenig übrig sein, als dass Kraft seine Verpflichtungen diesem gegenüber einhalten könnte.