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Finanz-Euphorie, Entlassungsansteckung und Kollektivverhandlungen

19.03.12 Editorial
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Entlassungen sind vor den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen mit allen möglichen Gründen gerechtfertigt worden – es gibt aber immer noch Raum für einen mehr. Die nächste Forderung nach Stellenstreichungen in eurem Unternehmen ist vielleicht in eine Botschaft verpackt, in der von Stellenstreichungen und Aktienkursen bei der Konkurrenz die Rede ist.

Am 23. Februar kündigte Procter & Gamble, der nach dem Umsatz weltgrößte Hersteller von Konsumgütern, die Streichung von 5 700 Arbeitsplätzen an, 10 Prozent der Beschäftigten im nicht-produzierenden Bereich. Analysten begrüßten diese „aufregende Nachricht“ als einen „großen Schritt nach vorn“. P&G behauptete, durch den Personalabbau sowie zusätzliche Kostensenkungsmaßnahmen würde der Gewinn um bis zu 9,5 Prozentpunkte gesteigert. Durch die Personaleinsparungen werde das Unternehmen „agiler“, frohlockte der CEO. „Kaufen“, schrien die Analysten. Binnen 24 Stunden war der Kurs der Aktien des Unternehmens um 2,3 % gestiegen.

„P&G wird mehr Flexibilität schaffen, die sich auf andere Unternehmen der Branche, wie Unilever, auswirken könnte“, erklärte ein Analyst gegenüber dem britischen Guardian, und er fügte hinzu, dass die Stellenstreichungen „die Stimmung der Anleger für Unilever dämpfen könnten“. Die „Stimmung“ wurde bestätigt; Anleger, einschließlich Pensionskassen, stießen ihre Aktien ab. Binnen 24 Stunden waren die Unilever-Aktien um 3% gefallen.

Unilever erzielte 2011 ausgezeichnete Ergebnisse und behauptete sich locker selbst in als „gesättigt“ geltenden entwickelten Märkten (was es aber natürlich nicht daran hinderte, die Renten zu attackieren und zuvor geplante Stellenstreichungen umzusetzen). Dem Konzern gelang es unter anderem deshalb, die höheren Rohstoffkosten zu verkraften, weil es seine Marktstellung nutzte, um die Preise zu erhöhen und die Einnahmen zu steigern, ein Unterfangen, bei dem P&G, das einige Preiserhöhungen zurücknehmen musste, spürbar geringere Erfolge aufzuweisen hatte.

Die Analysten waren mit Unilever zufrieden – bis P&G den Wettbewerbsdruck zum Stellenabbau erhöhte. Der Grund ist der, dass die beiden Konzerne nicht nur und nicht einmal hauptsächlich in Produktmärkten konkurrieren; sie konkurrieren auch in Finanzmärkten, wo Analysten zur Messung von Erfolg einfache (und vereinfachende) Verhältniszahlen verwenden. Eine Maßzahl dieses Wettbewerbs ist das Verhältnis Zahl der Beschäftigten zum Umsatz. Unternehmen, die in vergleichbaren Branchen tätig sind, werden routinemäßig miteinander verglichen, um zu ermitteln, welches die höchsten Margen mit den wenigsten Beschäftigten erzielt. (Intern vergleichen Unternehmen Abteilungen mit Hilfe dieser Kennzahl, um den Wettbewerb unter den eigenen Mitarbeitern zu intensivieren).

Der beliebten Website Investopedia zufolge: „Das Verhältnis Umsatz zu Beschäftigten gibt ungefähren Aufschluss darüber, wie teuer der Betrieb eines Unternehmens ist“. Das ist natürlich Unsinn: die Arbeitskosten sind nur einer – und nicht unbedingt der wichtigste – der vielen Faktoren, die für die Kosten des Betriebs eines Unternehmens bestimmend sind. Das übersteigt den Horizont von Anlegern, die von der vierteljährlichen oder sogar täglichen Entwicklung der Aktienkurse besessen sind. Im Rahmen dieser simplen Kennzahl ist es völlig egal, ob die Beschäftigtenzahlen bei Procter & Gamble oder irgendeinem anderen Hersteller die Beschäftigten im nicht-produzierenden Bereich einschließen. Was zählt, ist die Mitarbeiterzahl.

In einer Welt, in der die Beschäftigten lediglich „Kostenfaktoren“ sind, ist die für die Anleger gute Nachricht von den Entlassungen bei P&G eine schlechte Nachricht für die Beschäftigten von Unilever, die sofort den Druck spüren. Aktienkurse erholen sich, und bei der nächsten Anleger-Telefonkonferenz ist ohnehin alles wieder vergessen, wenn aber die Arbeitsplätze weg sind, sind sie weg.

Die panische Reaktion auf den Quartalsbericht wird vom Management immer als „strategisch“ bezeichnet. Unsere Reaktion muss in Vorbereitungen auf Verhandlungen bestehen, die über die Umsatz-, Kosten- und sonstigen Zahlen hinausgehen, die traditionell die Verhandlungen geprägt haben. Die Gewerkschaften müssen die rein finanziellen Kräfte ans Licht bringen, die Anlass für Managemententscheidungen sind, und eine umfassende Erklärung verlangen, welche Folgen Stellenstreichungen, die von Konkurrenten vorgenommen werden, für die eigenen Arbeitsplätze und die langfristigen Pläne des Unternehmens haben.