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Nestlés „Neue Realität“ gleicht stark der alten – die Beschäftigten auspressen, um liquide Mittel herauszupressen

26.03.12 News
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Nestlés vor kurzem veröffentlichter Jahresbericht für 2011, der mit dem bekannten „Liebe Aktionärinnen und Aktionäre“-Brief beginnt, will die Leser (die den Jargon sowieso überspringen und gleich auf die harten Zahlen zusteuern werden) gleich am Anfang mit dem Hinweis auf eine „Neue Realität“ ansprechen.

Für die Beschäftigten sieht die Neue Realität jedoch wie gehabt aus, Attacken auf Rechte, um liquide Mittel für die Ausschüttung an die Anleger zu generieren.

„Die neue Realität“ nach Nestlé „ist gekennzeichnet durch politische Umwälzungen, wirtschaftliche Ungewissheit, glanzloses Wachstum in entwickelten Märkten, hochgradig volatile Rohstoff-, Devisen- und Aktienmärkte… aber auch durch dynamisches Wachstum in aufstrebenden Märkten, zunehmenden Wohlstand, sprunghafte Veränderungen in den Bereichen Technologie und digitale Kommunikation, neue Märkte und neue Wege, die Verbraucher zu erreichen, ja steigende Verbraucherzahlen.

Schaut man sich die Zahlen näher an und bereinigt sie um Wechselkurseffekte, zeigt sich, dass das dynamische Wachstum hauptsächlich in einem Bereich zu verzeichnen ist: der Dividendenausschüttung. Nestlé empfiehlt, dass die „lieben Aktionärinnen und Aktionäre“ die Dividende um 5,4% erhöhen, von CHF 1,85 auf CHF 1,95. Die Aktionäre werden den Vorschlag auf der Aktionärsversammlung im April zweifellos begrüßen. Er folgt auf den großen Sprung nach vorn im Jahr 2010 von 1,60 auf 1,85. Fügt man die zig Milliarden für Aktienrückkäufe in den letzten Jahren hinzu, dann ist klar, dass Nestlé die Barmittel schneller ausschüttet, als es irgendetwas anderes produzieren kann.

Ein Journalist der Financial Times wies am 16. Februar in einem Artikel mit der klugen Überschrift „Nestlé: die Hülle abstreifen“ darauf hin, dass die Mittelzuflüsse aus der laufenden Geschäftstätigkeit ohne Veräusserungseffekte im letzten Jahr um ein Fünftel zurückgegangen sind. Die Tatsache, dass Nestlé unbedingt seine Dividende erhöhen will, bedeutet, dass seine Ausschüttung jetzt 60% des operativen Cashflow ausmacht, doppelt so viel wie vor vier Jahren [unsere Hervorhebung]“. Hier ist die Lokomotive des „dynamischen Wachstums“. Gutes Essen, gutes Leben, hohe Dividenden.

Die Expansion von Nestlé ist stets durch eine flexible Anpassung an regulatorische und rechtliche Umfelder gekennzeichnet gewesen, die hinsichtlich der Durchsetzung der Einhaltung internationaler Normen, einschließlich internationaler Arbeitsnormen, oft alles andere als streng sind. Der Jahresbericht teilt den Lesern mit, dass Nestlé den UN-Rahmen für Unternehmen und Menschenrechte „anerkennt“. Tatsächlich hat der Konzern keine Wahl – die Grundsätze sind nämlich in die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen aufgenommen worden. „Unser Due-Diligence-Programm für Menschenrechte umfasst Risikobewertungen, Folgenabschätzung, Schulung und Überwachung. Es wird von unserer Arbeitsgruppe für Menschenrechte koordiniert“.

Dieser schemenhaften Arbeitsgruppe entging ein Milchproduktionssystem in Kabirwala, Pakistan, das auf der schäbigen Ausbeutung von vielen Hunderten von Gelegenheitsarbeitskräften (der Konzern nennt sie Auftragnehmer) aufbaut, die auf Basis „keine Arbeit, kein Geld“ arbeiten und seit Jahren die gleichen Tätigkeiten verrichten wie die direkt angestellten Beschäftigten zu einem Bruchteil des Lohns und der Leistungen.

Die menschenrechtlichen Risikobewertungen sahen offensichtlich keine Risiken, als das Unternehmen Hunderte dieser Arbeitskräfte entließ, weil sie ihre gesetzlichen Rechte ausübten, wiederholt gerichtliche Anordnungen ignorierte und verletzte und die Rechtsansprüche der Beschäftigten gegen das Unternehmen durch polizeiliche Anzeigen kriminalisierte.

Jahrelang wurde dem IUL-Mitgliedsverband in der Nescafé-Fabrik in Panjang, Indonesien, das Recht zur Aushandlung der Löhne verwehrt. Im letzten Jahr räumte das Unternehmen schließlich ein, dass Kollektivverhandlungen in der Tat Lohnverhandlungen einschließen. Als die Verhandlungen scheiterten und die Gewerkschaft Streikmaßnahmen einleitete, entließ die Betriebsleitung willkürlich und rachsüchtig 53 Gewerkschaftsmitglieder – nachdem eine Vereinbarung zur Beendigung des Streiks unterzeichnet worden war und die Arbeiter/innen an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt waren.

Nestlés Risikobewertung im Bereich der Menschenrechte vermochte es nicht, diese und andere langjährige Missbräuche aufzudecken, und hat offenbar kein Problem mit bösartigen Reaktionen der Betriebsleitungen, wenn dem Unternehmen Missbräuche zur Kenntnis gebracht werden. Für die Nestlé-Beschäftigten sieht die neue Realität genauso aus wie die alte: liquide Mittel herauspressen bedeutet Rechte unterdrücken.

Wie viele ähnliche Menschenrechts“risiken“ lauern wohl im Nestlé-System? Von der Arbeitsgruppe für Menschenrechte oder den „internen Audits“ von Nestlé dürft ihr keine Antwort auf diese Frage erwarten. Die Anleger sollten genauer hinschauen.