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Sparmaßnahmen belohnen Steuerhinterziehung durch Unternehmen

19.11.12 Editorial
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Während die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und der IWF darüber streiten, wie viel mehr griechische Arbeitnehmer/innen ihren Arbeitsplatz verlieren und wie viel mehr öffentliche Ausgaben gekürzt werden müssen, um die Investoren zufrieden zu stellen, flüchten einige der größten Unternehmen Griechenlands in ausländische Steueroasen und verschlimmern damit noch den Druck auf die öffentlichen Einnahmen.

Die Coca-Cola Hellenic Bottling Company (CCH), das größte börsennotierte Unternehmen des Landes und der zweitgrößte Abfüllbetrieb im Coca-Cola-System, gab am 11. Oktober bekannt, dass sie das Land verlassen werde, um sich in der steuerfreundlichen Schweiz niederzulassen und ihre Aktien an der Londoner Börse notieren zu lassen.

Der CEO, Dimitris Lois, erklärte gegenüber der Financial Times, dass "der griechischen Regierung im Prinzip keine Einnahmen entgehen werden". Das stimmt aber nicht – die Standard-Körperschaftssteuersätze sind in der Schweiz niedriger als in Griechenland, und transnationale Konzerne können vielfältige weitere Vergünstigungen in Anspruch nehmen, darunter die Möglichkeit einer Steuerbefreiung der außerhalb der Schweiz erzielten Einkünfte. Es ist Unsinn zu behaupten, dass dies keine Auswirkung auf den Beitrag des Unternehmens zu den öffentlichen Einnahmen in Griechenland haben wird.

Laut dem jährlichen Aktionärsbericht für 2011 verbuchte CCH Einnahmen in Höhe von 6,85 Milliarden Euro und zahlte Steuern in Höhe von 102,7 Millionen Euro. Man kann davon ausgehen, dass CCH, das in 28 Ländern Europas und Afrikas tätig ist, bereits erhebliche Kreativität darauf verwendet, seine globale Steuerschuld durch Verrechnungspreise und sorgfältige Leitung von Rechnungen zu reduzieren. Die Steuerbelastung in Prozent seiner Gewinne ist im Verlauf der Krisenjahre gesunken, was das Unternehmen aber nicht davon abgehalten hat, weiter zu meckern. So werden die CCH-Aktien jetzt gegen Anteile einer neugegründeten schweizerischen Holding-Gesellschaft und einen neuen Firmensitz getauscht.

Einen Tag vor der CCH-Ankündigung gab eines der größten griechischen Molkereiunternehmen, FAGE, bekannt, dass es Griechenland verlassen und nach Luxemburg übersiedeln werde, wo es eine eigene Holding-Gesellschaft gegründet habe. "Diese Restrukturierung des Unternehmens baut auf unserem griechischen Erbe auf und gestattet es uns gleichzeitig, in internationalen Märkten effizienter zu konkurrieren", erklärte der CEO. Keine Rede davon, "die Bürde" des gepeinigten Landes "zu teilen". Aus Steuergründen wird der berühmte griechische Joghurt jetzt in Luxemburg hergestellt.

Wissen wir, welche Auswirkung die Verlegung des Firmensitzes auf die griechischen Steuern des Unternehmens haben wird? Nein, wir sollten es aber wissen, und darum geht es.

Streikende Arbeitnehmer/innen demonstrieren vor öffentlichen Vorschulen und Kindergärten in Athen

Kurz nachdem diese großen Lebensmittelunternehmen Griechenland verlassen hatten, um sich in noch sonnigeren Steueroasen niederzulassen, wurde der Journalist Kostas Vaxevanis in Haft genommen, und ihm wurde mit strafrechtlicher Verfolgung gedroht, weil er die Namen von rund 2000 reichen Griechen mit nicht versteuerten Guthaben bei ausländischen Banken veröffentlicht hatte. Diese Liste, die jetzt als "die Lagarde-Liste" bezeichnet wird, weil sie vor zwei Jahren von der damaligen französischen Finanzministerin (die jetzt den IWF leitet) der griechischen Regierung übergeben worden war, ist nur eine Liste griechischer Kunden einer einzigen Bank, der HSBC. Sie ist nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe der Steuerhinterziehung. Soweit bekannt ist, muss die Regierung Griechenlands auf diese und andere Listen, die den systematischen Abzug eines riesigen Teils des Volksvermögens von der Steuerbasis des Landes belegen, noch reagieren.

Während also die Polizei gegen griechische Arbeiter/innen vorgeht, die gegen brutale Attacken auf den Lebensstandard, die Beseitigung von Kollektivverhandlungen und einschneidende Kürzungen bei den öffentlichen Dienstleistungen demonstrieren, und ein Journalist wegen der Enthüllung staatlicher Mitwisserschaft bei der Steuerhinterziehung eingesperrt wird, werden hochprofitable Unternehmen mit einem Platz im FTSE 100 und höheren Aktienkursen wegen ihres Beitrags zur Verringerung der öffentlichen Einnahmen belohnt. Hierbei handelt es sich um Steuerhinterziehung durch Unternehmen, nicht einzelne Personen, und um Plünderung in großem Maßstab.

Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Gruppen, die die Sparmaßnahmen bekämpfen, sollten die große Heuchelei und Ungerechtigkeit eines Austeritätsregimes anprangern, das massive Wirtschaftsdelikte von Unternehmen belohnt. Als erstes brauchen wir eine eigene Lagarde-Liste. Die Summe der derzeitigen und künftigen Verluste für die öffentlichen Finanzen, die entstehen, wenn ein griechisches (oder spanisches oder portugiesisches) Unternehmen seinen Sitz verlegt, um seine Steuerschuld zu verringern, sollten automatisch von demjenigen Teil der Staatsschulden abgezogen werden, der von der Troika verwaltet wird. Eine fortlaufend aktualisierte Liste kann dann Christine Lagarde vorgelegt werden.