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Ein Leben nach dem Selbstmord? Neue Samen, neue Gefahren

06.05.14 Feature
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Die IUL freut sich, den zweiten einer Reihe von Artikeln über neue Technologien und ihre Auswirkungen im Nahrungsmittel- und Landwirtschaftssektor der ETC Group (vormals RAFI) zu veröffentlichen, einer zivilgesellschaftlichen Organisation, mit der die IUL seit vielen Jahren zusammenarbeitet. Die IUL schloss sich 1999 der Forderung nach einem Moratorium für Terminator Saatgut an, einem patentierten Saatgut, dem transgen Sterilität vermittelt wird. Das Moratorium hat bislang gehalten, doch jetzt gerät es unter Beschuss.
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Terminator-Saatgut könnte demnächst auf einem Feld in Ihrer Nähe aufgehen. Die „Selbstmordsamen“, die zur Erntezeit sterben (und daher jede Saison neu gekauft werden müssen), stehen zwar seit dem Jahr 2000 unter einem UN-Moratorium, könnten aber noch in diesem Jahr in Brasilien frei gegeben werden. Zwei Gesetzesanträge, die seit Jahren vom brasilianischen Kongress blockiert werden, könnten irgendwann zwischen der Fußballweltmeisterschaft im Juni und den brasilianischen Wahlen Anfang Oktober über die Hintertür in die brasilianische Gesetzgebung gelangen. Sollte einer der beiden Anträge durchgehen, werden die brasilianischen Diplomaten das Moratorium im Rahmen der UN-Biodiversitätskonvention, deren zweijährliche Konferenz Mitte Oktober in Korea tagt, „neu interpretieren“, um der Verurteilung durch den Rest der Welt zuvorzukommen.

Terminator-Lobbyisten wollen das extrem profitable Saatgut neu benennen und es als wichtigen Schritt im Sinne der Biosicherheit verkaufen, indem sie behaupten, es ließen sich damit konventionelle Anbaugüter vor so genannten „Bioreaktor“-Anbaugütern schützen (z.B. vor Bäumen und Zuckerrohr mit genetisch veränderten Eigenschaften, die zur Herstellung von Kunststoffen, Treibstoffen, Arzneimitteln usw. genutzt werden), die sonst womöglich auf andere Pflanzen übertragen werden.

Die Bestürzung über die brasilianischen Gesetzesvorlagen hatte eine weltweite Petition zur Folge, die von fast 69.000 Einzelpersonen und Organisationen unterzeichnet wurde. Dass Brasilien nun diesen Schritt unternimmt, ist umso schockierender, als die jetzige Regierungspartei auf der Tagung der Biodiversitätskonvention im Jahr 2006 in Curitiba, Brasilien, noch dazu beitrug, die Bemühungen der multinationalen Saatgutkonzerne zu vereiteln, die das Moratorium zu Fall bringen wollten.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends mussten die drei größten Saatgutkonzerne der Welt (Monsanto, DuPont and Syngenta), die 54% des weltweiten kommerziellen Saatgutmarkts beherrschen, das öffentliche Versprechen leisten, Terminator nicht auf den Markt zu bringen. Dessen ungeachtet haben die größten Saatgutunternehmen – und mehrere öffentliche Züchter wie die brasilianische Embrapa (die mit den Multinationalen eng verbunden ist) – ihre Forschung mit steriler Saatguttechnologie fortgesetzt, Patente beantragt und Technologien entwickelt, die sogar noch besorgniserregender sind.

So stieß die ETC Group 2006 auf Patentanträge für Zombiesamen – das ist ein Saatgut, das zum Zeitpunkt der Ernte stirbt, danach aber wieder zum Leben erweckt werden kann, wenn es mit den Chemikalien der Saatgutfirma gewaschen wird. Die Zombiesamen sind als extreme Ausformung des Terminator-Saatguts von dem Moratorium ebenfalls erfasst.

Da der Widerstand der Verbraucher gegen GV-Saatgut nicht nachlässt – und das Moratorium immer noch gilt – suchen die Multinationalen nach anderen Wegen, wie sie sich das Monopol über die Gewinne sichern können. Gegenwärtig werden mindestens neun andere Techniken entwickelt, wobei die Unternehmen beteuern, dass es sich dabei nicht um genetisch verändertes Saatgut handelt und daher auch keine Regulierung erforderlich sei.

Nicht alle Techniken sind neu; tatsächlich gibt es manche von ihnen schon lange – etwa die Mutagenese mit Gamma- und Röntgenstrahlen und auf chemischem Weg, die erstmals im Kalten Krieg aufkam. Alle diese Technologien fliegen jedoch unter dem Radar, sie werden allesamt kommerziell genutzt und keine von ihnen ist angemessen reguliert.

Die neuste Technik, synthetische Biologie, birgt massive gesundheitliche, ökologische und wirtschaftliche Folgen für Landwirte, Lebensmittelverarbeiter, Landwirtschaftsarbeiter und Verbraucher. Doch die älteste Strategie, „genetisch nicht veränderte“ GVO über die Gamma- und Röntengstrahlen-Mutagenese zu züchten, kehrt nun mit Macht zurück und verlangt nach umgehender Aufmerksamkeit.  

Laut der Internationalen Atomenergiebehörde wurden die ersten durch Gamma- und Röntgenstrahlen herbeigeführten Mutationen vor 80 Jahren von den Holländern in Indonesien durchgeführt. Im Kalten Krieg beschrieben sich die Züchter selbst als „Frankensteine“ und ihre Felder als „Gammagärten“. Als in den 1990er Jahren die ersten GVO auftauchten, flaute die Strahlungszüchtung wieder ab. Doch als die GVO auf Widerstand stießen, wurde sie still und heimlich wieder aufgenommen. 2013 schätzte Bloomberg News, dass bereits 3.000 Pflanzensorten, darunter 200 Anbaugüter, auf dem Markt sind. Eine bedeutende Rolle spielt die Strahlungszüchtung heute in der Hartweizenproduktion (Pasta) in Italien, im Gerstenanbau fast überall auf der Welt, im Sojabohnen- und Reisanbau in China und Südostasien und im Anbau von rostresistentem Weizen in Ostafrika. Im vergangenen Jahr waren mindestens 31 Länder in die Strahlungszüchtung involviert – das sind um vier mehr als jene, die GVO erlauben. 2004 warnte die US National Academy of Sciences, dass die Techniken für die Strahlungszüchtung viel genauer überprüft gehörten als „konventionelle“ GVO, da der Beschuss mit Gammastrahlen weitaus mehr Mutationen verursachen kann als die Gentransfers der Biotech-Industrie.

Die Zukunft des Terminator könnte sich nach den Wahlen in Brasilien im Oktober ändern. Terminator, aber auch die anderen neuen Züchtungstechnologien müssen auf die Tagesordnung der Biodiversitätskonvention, die ebenfalls im Oktober tagt. Das Cartagena Protocol könnte hier gelten. Ebenso gehören diese Technologien auf die Tagesordnung des UN-Weltausschusses für Ernährungssicherheit, der im Oktober in Rom tagt.