Published: 27/04/2010
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Nestlé, der größte Lebensmittelkonzern der Welt, schwimmt im Geld. Aus den für 2009 gemeldeten Ergebnissen geht hervor, dass die Umsätze bei über 102 Milliarden US-Dollar lagen, (94,6 Milliarden im Kernbereich Lebensmittel und Getränke), der Betriebsgewinn 14,85 Milliarden erreichte (mehr als im Vorjahr), die EBIT-Marge (die von den Finanzanalysten am meisten geschätzte Größe) bei beneidenswerten 14,6% lag und der Mittelzufluss aus der Geschäftstätigkeit von 6,81 Milliarden im Jahr 2008 auf 16,93 Milliarden um atemberaubende 67% kletterte.

Und es gibt Nespresso, den neuen Stern unter den Nestlé-Marken, dessen Absatz sich gegenüber dem Vorjahr um 22% erhöhte, wobei für das laufende Jahr ein Umsatzvolumen von 2,83 Milliarden US-Dollar erwartet wird – und kein Konkurrenzprodukt in Sicht ist! Im Zuge der Expansion im laufenden Jahr soll das Erlebnis der Marke Nespresso auch in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara möglich sein.

Wo wird das ganze Geld hingehen? In Nesrückkäufe, natürlich! Nestlé wird 9,46 Milliarden US-Dollar für den Rückkauf eigener Aktien aufbringen, allein, um die gewaltigen Barmittelzuflüsse des Konzerns direkt den Aktionären zukommen zu lassen. Natürlich bedeuten die Rückkäufe auch eine deutliche Erhöhung der Managerbezüge. Im vorigen Jahr erhielt Konzernchef Paul Bulcke neben seinen 2 Millionen Dollar “Grundgehalt” und fast einer halben Million Barprämie etwa 8 Millionen US-Dollar in Form von Aktien und Aktienoptionen. Daneben kassierte er eine dreiviertel Million Dollar Beiträge zu seiner künftigen Pension – mehr als der langlebigste Nestlé-Arbeitnehmer im Verlauf seines gesamten Ruhestandes jemals erwarten könnte.

Und was noch? Neben den Rückkäufen gibt es die Dividende, die um 14,3% auf insgesamt 5,2 Milliarden US-Dollar steigt, verglichen mit gerade 4,73 Milliarden im Jahr 2008. Damit erhöht sich die Ausschüttungsquote – das Verhältnis von Dividenden zu Gewinnen – auf über 51%.

Bei vielen großen Konzernen wurde die Höhe der Dividende gesenkt, weil Aktienrückkäufe eine beliebtere Methode wurden, um den “Mehrwert” für die Aktionäre zu erhöhen. Nicht so bei Nestlé, wo das berühmte “Nestlémodell” dafür sorgt, dass die Aktionäre in den Genuss beider Formen der Gewinnbeteiligung kommen.

Während die meisten Aktionäre über die Ergebnisse entzückt waren, wollten einige doch etwas mehr über die Natur der Lieferantenbeziehungen erfahren, über die in der neuesten Broschüre “Creating shared value” (gemeinsame Wertschöpfung) so viel Lobendes gesagt wird. Denn wenn sich der Konzern wirklich “Sorgen” um die “Vernichtung von Regenwäldern und Torffeldern durch Palmölplantagen” macht, leuchtete es ihnen nicht ein, warum er als Reaktion auf die Palmölkampagne von Greenpeace Copyrightverletzungen statt die eigene Lieferkette zum Thema machte.

Nach ethischen Gesichtspunkten handelnde Anlageberater, die den jüngsten Bericht “Creating shared value” lesen, könnten sich möglicherweise fragen, warum sich Nestlé, ein Unternehmen, das den IAO-Übereinkommen so große Bedeutung beimisst, nach Angaben der IUL häufiger als irgendein anderes Unternehmen gegenüber der OECD zu verantworten hat, weil es diese Übereinkommen und damit auch die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen verletzt hat.

Andere wiederum beginnen, die berüchtigte Nestlé-Arroganz in Frage zu stellen, die den Nestlé-Präsidenten  Brabeck im September vorigen Jahres veranlasste, mit dem Auszug des Konzerns aus der Schweiz zu drohen, falls die Regierung eine Beschränkung der Managerbezüge auch nur zur Diskussion stellen sollte. Auf der jüngsten Hauptversammlung erklärte Nestlé: “Nestlé ist für die Schweiz wichtig, aber lassen Sie mich auch ganz eindeutig feststellen, dass die Schweiz wichtig für Nestlé ist. Dieses Land bietet als Sitzland einen klaren Vorteil, weil es über ein ausgewogenes und flexibles Rechtssystem verfügt”, das ideal geeignet ist, Werte für Aktionäre zu schaffen. Brabeck äußerte seine “Zuversicht, dass das Schweizer Parlament und das Schweizer Volk eine angemesssene Lösung für die zur Zeit diskutierten Reformen finden wird.” Nespressionen? – natürlich! Nestlé ist wichtig für Nestlé.

Dieselbe Konzernarroganz veranlasst die Unternehmensleitung von Nestlé Russland, ein formelles Ersuchen des russischen Bundesparlaments zu ignorieren, wonach das Unternehmen den bestraften Gewerkschaftsführer bei Nestlé Waters in der Nähe von Moskau wiedereinstellen, seine Angriffe gegen die Gewerkschaft beenden und Verhandlungen mit ihr aufnehmen sollte. Dieselbe Arroganz veranlasst die Unternehmensleitung von Nestlé Indonesien, seit mehr als zweieinhalb Jahren die Forderungen nach Lohnverhandlungen mit der Gewerkschaft in der Nescafé-Fabrik in Panjang, Indonesien mit dem Argument abzulehnen, Löhne seien ein “Betriebsgeheimnis”. Als Reaktion auf den nachgewiesenen Widerspruch zwischen dieser Haltung und den IAO-Übereinkommen und den Arbeitnehmerrechten, die das Unternehmen angeblich einhält, fordert Nestlé jetzt in arroganter Weise als Voraussetzung für die Aufnahme der seit langem verhinderten Verhandlungen die Einbeziehung einer vom Unternehmen selbst gegründeten und beherrschten ‘Gewerkschaft’, zu dem alleinigen Zweck, die echte Gewerkschaft, die den Kampf für Arbeitnehmerrechte in der Fabrik seit jeher angeführt hat, zu schwächen.

Und Nestlé-Arbeitnehmer in aller Welt fragen sich immer häufiger, warum bei 15 Milliarden Dollar, die den Aktionären in diesem Jahr zufließen, so wenig für Investitionen in die Belegschaften bleibt, die doch das Rückgrat dieses überaus profitablen Unternehmens bilden.

Es scheint, dass Nespressionen – die Ausnutzung der Arbeitnehmer und die Unterdrückung von Rechten – nach wie vor ein wesentliches Element des “Nestlémodells” sind.